Deutsche für Internetsperren - oder doch nicht? Update!

Man fühlt sich an den legendären Ausspruch "Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast" des nicht minder legendären Staatsmanns Winston Churchill erinnert, wenn man sich die neuesten Umfragen zum Thema "Internetsperren" ansieht. Während gestern der "Verein Deutsche Kinderhilfe" eine Umfrage präsentiert hat, in der belegt werden sollte 92% der Deutschen seinen für Internetsperren, gibt es heute ein genau entgegengesetztes Umfrageergebnis.

Am gestrigen Tage verkündete der als aktiver Verfechter der Sperrpläne der Bundesregierung geltende Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe e.V., Georg Erdmann, dass das Ergebnis einer im Auftrag des Vereins von Infratest dimap durchgeführten Umfrage unter 1000 zufällig ausgewählten Bürgern ergeben hätte, dass 92% für Internetsperren wären. Der Widerstand, z.B. durch die bekannte Online-Petition beruhe alleine auf "Internetliebhaber(n), Blogger(n), im Grunde also um einer Minderheit (...) - wenn auch eine gut organisierte.“

Betrachtet man nun aber die Frage, die von der Deutschen Kinderhilfe gestellt wurde, so verwundert kaum die Zustimmung:

"Die Bundesregierung plant ein Gesetz zur Sperrung von kinderpornographischen Seiten im Internet. Kritiker befürchten eine Zensur und bezweifeln die Wirksamkeit solcher Sperren. Befürworter betonen dagegen, dass solche Sperren eine sinnvolle und wirksame Maßnahme gegen die Verbreitung solcher Bilder sind. Wie sehen Sie das: Sind Sie für ein Gesetz zur Sperrung kinderpornographischer Seiten im Internet oder dagegen?"

 
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Nicht nur wird in der Fragestellung verschwiegen, dass Kinderpornografie egal in welchem Medium schon seit langer Zeit verboten ist und selbstverständlich strafrechtlich verfolgt wird, sondern es wird auch - zumindest unterschwellig - Kritikern der Sperre unterstellt, sie würden die Einschränkung des Konsums von kinderpornografischen Inhalten als Zensur betrachten. Ferner wird nicht erwähnt, dass das LG Hamburg in einem Urteil vom 12.11.2008 (Az: 308 O 548/08) zur Sperrung von Seiten mit Copyright-Verstößen DNS-Sperren wie von der Bundesregierung geplant als "auf Grund von Umgehungsmöglichkeiten (...) beschränkt geeignet" bezeichnet hat. Ferner führten die Richter aus, dass auch Ihnen, also IT-Laien wie Otto-Normal-Verbraucher, mit einer frei verfügbaren Anleitung die Umgehung einer Sperre "in wenigen" Minuten" gelungen sei. Es sei daher nach ihrer Ansicht anzunehmen, dass es für einen versierten Nutzer von Downloadseiten wahrscheinlich in noch kürzerer Zeit zu erledigen sei.

Auf Grund dieser Umfrage hat heute der Verein "Mogis - Missbrauchsopfer gegen Internetsperren" eine ebenfalls von Infratest dimap durchgeführte Umfrage unter gleichen Voraussetzung präsentiert. Die Ergebnisse liegen z.Z. exklusiv der Redaktion der Zeit Online vor. Im Gegensatz zur Kinderhilfe wurde die Frage aber anders gestellt:

"Der Zugang zu Internetseiten mit Kinderpornographie sollte durch eine Sperre erschwert werden, das reicht aus, auch wenn die Seiten selbst dann noch vorhanden und für jedermann erreichbar sind."

Kaum jemanden verwundert wohl, dass sich über 90% der Befragten gegen eine solche Sperre ausgesprochen haben. Entsprechend sieht es auch der Vorsitzende der Mogis Christian Bahls: "Die Ergebnisse der Umfrage widerlegen den Eindruck der Regierung, die Mitzeichner der Petition wären in der Minderheit". Sein Verein setzt sich zusammen mit den anderen Gegner schon seit langem gegen die Internetsperre ein und sieht darin nur eine Abwandlung des Handtuchs aus Douglas Adams "Per Anhalter durch die Galaxis": Der Plapperkäfer von Traal, "ein zum Verrücktwerden dämliches Vieh, es nimmt an, wenn du es nicht siehst, kann es dich auch nicht sehen - bescheuert wie eine Bürste, aber sehr, sehr gefräßig", nimmt einen nicht war solange man sich die Augen mit einem Handtuch verdeckt und ihn so nicht sieht. Ferner befürchten sie, dass die Bekämpfung von Kindsmissbrauch aller Art durch eine solche Sperre und v.a. durch die geplante direkt aus dem Zugriff auf eine gesperrte Seite folgende Ermittlung wegen eines "Anfangsverdachts" behindert wird. Immerhin kommt ein Großteil der Anzeigen wegen Kinderpornografie von Privatleuten die zufällig auf eine solche Seite gestoßen sind.

Es wurden vom Verein Mogis noch zwei weitere Fragen gestellt, nämlich:
  • "Internetseiten mit Kinderpornographie sollten konsequent gelöscht und die Betreiber strafrechtlich verfolgt werden."
  • "Internetseiten mit Kinderpornographie sollten im Internet frei zugänglich sein, es muss jeder selbst wissen, was er sich anschaut."

Der ersten Frage stimmten erwartungsgemäß 92% der Befragten zu, während 98% die zweite ablehnten. Interessant ist, dass bei einer ähnlich formulierten Frage der Deutschen Kinderhilfe ("Was für ein Internet bevorzugen Sie persönlich? Eines, das völlig frei ist von staatlicher Kontrolle – und damit auch kinderpornographische Inhalte enthält – oder eines, in dem vom Staat bestimmte strafbare Inhalte auch kontrolliert und gesperrt werden können?") sich "nur" 84% dafür und fast 10% dagegen (und somit indirekt für Kinderpornografie) aus.

 
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Was können wir nun aber aus diesen beiden Umfragen ableiten? Zum einen fühlt man sich an den Deutsch- und Lateinunterricht in der Schule erinnert und bekommt die ganze Macht des Wortes und der Formulierung vor Augen geführt. Durch die richtige und mglst. suggestive Fragestellung kann man jedes gewünschte Ergebnis erzielen, die Umfragen sagen als de facto nichts aus. Zum anderen wird aber - und das trotz der fehlenden Aussagekraft zum Thema selber - deutlich, dass die Bürger in Deutschland sehr wohl zwischen dem bedingungslos zu befürwortenden Kampf gegen Kinderpornografie und einer sinnlosen Einrichtung eines Zensursystems in seinem Namen zu unterscheiden wissen. Hier sollte sich die Bundesregierung, in diesem Fall vertreten durch Familienministerin Ursula van der Leyen, dringend überlegen, wie sie weiter vorgehen möchte und trotzdem das Ergebnis der Umfragen als Grund sehen soll "ihr Handeln zu überdenken": "Ich denke nicht, dass über eine Änderung des Telemediengesetzes das gewünschte Ziel, die Verringerung der Missbrauchszahlen, erreicht werden kann. (Christian Bahls)"

Update 22.05.2009, 11:00: Bisher wurden die genauen Ergebnisse der vom Verein Mogis in Auftrag gegebenen "Gegenumfrage" noch nicht - wie eigentlich angekündigt - auf den Seiten von infratest dimap veröffentlicht. Ob dies an den bei der Redaktion von Zeit Online liegenden Exklusivrechten hängt oder andere Gründe hat war bisher nicht zu klären. Wir werden unsere Leser aber weiter auf dem Laufenden halten.

Ferner hat, wie heise berichtet, der allgemeine Stil der Regierung zu immer mehr Überwachung unter dem Deckmäntelchen der nötigen Verschärfung der Sicherheit den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, auf dem gestrigen "Verfassungsgespräch" zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes, den Anlass gegeben zu beklagen, dass seit den Anschlägen auf das World Trade Center eine "zu starke Verschiebung zu Lasten der Freiheit" stattgefunden habe. Als Beispiele führte er die Online-Durchsuchung und die Überwachung von Kfz-Kennzeichen an. Der komplette Bericht ist hier zu finden.

Wer sich genauer zu den Argumenten aller Seiten informieren möchte, dem sei dieser Artikel unserer Kollegen von heise empfohlen. Ferner möchten wir auf diesen Beitrag aus dem Diskussionsthread zu dieser Nachricht verweisen, denn dieser enthält einen Beitrag zum Thema aus der Sendung "ZAPP Das Medienmagazin" des NDR.

Eine sehr ernste aber auch humorige Auseinandersetzung von Alexander Lehmann mit Unterstützung der FH Kaiserslautern zum Thema findet sich beim bekannten Video-Portal YouTube:





Dieser Film ist im Rahmen des Projektes "Du bist Terrorist", welches sich generell gegen die allgegenwärtige Überwachung des Bürgers und dabei auch mit den Internetsperren befasst.

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