Kommentar: AGEIAs PhysX

Mit dem offiziellen Release der PhysX Karte hat die vergangenen Tage ein lang erwarteter aber letztlich dennoch überraschender Produktelaunch stattgefunden.

Besonders lesenswert sind unter anderem die Reviews von 3DCenter und VR-Zone, letzterer vor allem weil dort auch Videos mit direktem Vergleich zu sehen sind.

Die PhysX Karte wird ähnlich wie eine 3D-Grafikkarte hauptsächlich zur Beschleunigung von bestimmten Anwendungen in den PC eingebaut und übernimmt dann bei entsprechend darauf ausgelegten Spielen die Berechnungen des physikalischen Verhaltens von Körpern, Gasen und Flüssigkeiten, welche früher entweder gar nicht oder ausschliesslich von der CPU berechnet wurden.
In der Karte und der zugehörigen (für Spieleprogrammierer wichtigen) Software stecken rund drei Jahre Entwicklungsarbeit der 2002 gegründeten Kalifornischen Firma AGEIA. Die Karte wurde bereits vor gut einem Jahr mit den heutigen Spezifikationen fertig gestellt. Da es sich um ein völlig neues Produkt handelte, konnte sie nicht früher auf den Markt gebracht werden, da es bis anhin noch an Software in Form von Spielen fehlte, welche diese Karte unterstützen.

Die derzeit vorliegenden Spiele und Demos werfen denn auch ein immer noch ernüchterndes Bild ab, wie sich in den Reviews klar zeigte. Zwar erhält man dank dem Physikbeschleuniger beispielsweise bei Explosionen ein nie gesehenes grafisches Feuerwerk, aber das Ganze wirkt wie ein einfacher neuer Grafikeffekt. Dies ist leider noch nicht das, was man sich im Vorfeld erhofft hat. Versprochen wurden nicht einfach nur Effekte, sondern ein höherer Realitätsgrad in Spielen. Wenn in einem Shooter-Spiel auf eine Wand geschossen wird, sollen nicht einfach mehr Staub und Qualm aufwirbeln und mehr Partikel durch die Gegend fliegen, das auch, aber es sollte vor allem anschliessend ein richtiges Loch in der Wand sein.
Umwelteinflüsse sollen korrekt berechnet werden, Feuer soll sich ausbreiten können und Regen soll nass machen, der Scheibenwischer soll den Regen von der Autoscheibe wischen und wenn das Auto auf der nassen Strasse ins Schlingern gerät und in die Leitplanke fährt sollen Leitplanke und Auto davon beschädigt werden.

Die PPU (Der Kernprozessor der PhysX-Karte) bringt nach Angaben von AGEIA eine um so viel höhere Leistung in den entsprechenden Berechnungen, dass die Anzahl beweglicher Körper in einem Bild um ein vielfaches gesteigert werden könne. Es wäre vorstellbar, dass bei einer Figur im Spiel die Bewegungen der Haare (vieler einzelner Haare) im Wind mit hoher Genauigkeit berechnet werden.

Dies alles war vor einer Woche für die Anwender und wohl auch für den Grossteil der Presse pure Theorie. Es gab zwar schon Videos, welche Spiele mit von einer PhysX Karte beschleunigten Physik zeigten, Details, wie repräsentativ diese Videos für die Leistung der Karte sind, fehlten aber noch.
Nun ist das Geheimnis gelüftet. Es liegen Fakten unabhängiger Tester auf dem Tisch, welche die Performance des Computers mit und ohne Physikbeschleuniger ihrem Gegenwert in Form eines höheren Realitätsgrades und/oder besserer Grafik gegenüberstellen.

Die Euphorie hielt sich dabei einstimmig in Grenzen. Drei gewichtige Probleme trüben das Bild. Zwei davon betreffen die Leistung heutiger Computer: Zum einen ist auch eine zusätzliche Physikbeschleunigerkarte angesichts des enormen Rechenaufwandes, der nötig wäre, um die wirkliche Welt in Echtzeit realistisch abzubilden, ehrlicherweise nicht mehr als ein Tropfen auf einen heissen Stein. Jede einzelne Simulation an sich, beispielsweise das erwähnte Haar im Wind, oder eine kleine Explosion wäre nun sicher machbar, aber alles zusammen übersteigt wohl die Leistungsfähigkeit jedes heute denkbaren Personal Computers. Die Spieleprogrammierer müssen sich also hier offensichtlich schon mal beschränken. Dazu kommt (das wäre damit eine weiterer Knackpunkt) dass das mehr an Körpern in einer Szene, und wenn es nur kleine Splitter sind, den Rechenaufwand der Grafikkarte extrem in die Höhe treiben. Schliesslich müssen für jedes Objekt zusätzlich Texturen, Licht, Schatten, Transparenzeffekte und was es sonst noch alles gibt berechnet werden. Für diese Mehrarbeit sind heutige Grafikkarten schlichtweg noch nicht ausgelegt. Es bringt nicht viel, wenn eine zusätzliche Karte der CPU Arbeit abnimmt, wenn dadurch sehr rasch die Grafikkarte zum limitierenden Faktor wird.
Das dritte Problem ist das viel zitierte klassische Henne-Ei-Problem: Spieleprogrammierer können eine Physikbeschleunigerkarte nicht voraussetzen, solange zu wenige Spieler eine entsprechende Karte besitzen. Diese werden aber auch keine Karte kaufen, solange es keine Spiele gibt, die durch diese Karte einen deutlichen Mehrwert an Realismus mitbringen. Die Programmierer wählen deshalb den Weg, Physikberechnungen optional in die Spiele zu integrieren, damit sie sowohl von Leuten mit als auch ohne PhysX Karte gespielt werden können. Dadurch beschränkt sich das Anwendungsgebiet der Physikbeschleunigung eben nur auf zusätzliche Effekte wie Rauch oder detailreichere Explosionen, welche das Spielgeschehen nicht beeinflussen. Ein Loch in der Wand oder ein Auto mit verbogener Lenkstange würde das Spielgeschehen aber beeinflussen und ist daher nicht erlaubt.
Aber gerade wenn das Potential einer Physikbeschleunigerkarte nur für zusätzliche, rein optisch auffallende Effekte verschwendet wird, überwiegen die Nachteile einer solchen Karte: Denn durch den höheren Rechenaufwand ist eine herkömmliche, einzelne Grafikkarte überfordert und es müssen zu Gunsten der Physik dafür andere Bildqualitätssteigernde Einstellungen heruntergeschraubt oder ausgeschaltet werden, wodurch sich jeder Nutzen praktisch auslöscht.
Beim Mangel an Rechenleistung dürfte es sich allerdings um ein höchstens mittelfristig bestehendes Problem handeln, wenn man davon ausgeht, dass wie bisher alle sechs Monate schnellere Modelle von Grafikkarten erscheinen.
Schwieriger könnte es um die Akzeptanz vom Markt stehen. Denn zum Mangel an optimierten Spielen hinzu kommt das Problem, das anders als noch vor ein paar Jahren die Firma AGEIA nicht mehr konkurrenzlos dasteht.
nVidia bietet mit Havok FX seit kurzem ein eigenes Konzept zur Beschleunigung von physikalischen Berechnungen in Spielen an. Auch wenn Havok FX prinzipbedingt von der Leistung her der Lösung von AGEIA unterliegen mag (direkte Vergleiche fehlen derzeit und wird es wahrscheinlich so auch nie geben, da es Konkurrenzsysteme sind, die wohl von keinem Spiel jemals zugleich unterstützt werden), so ist nVidia bezüglich der Marktakzeptanz viel wahrscheinlicher auf der sicheren Seite. Denn erstens begibt man sich erst gar nicht in das Dilemma von Spielverlauf beeinflussender Physik, sondern legt klar fest, dass nur optionale Effekte berechnet werden sollen. Zweitens läuft das Ganze auf schon seit geraumer Zeit erhältlicher Hardware, normalen Grafikkarten von nVidia, allerdings bisher ausschliesslich im SLI Verbund. SLI, also zwei oder gar vier zusammenarbeitende Grafikkarten in einem PC, wird angesichts der Erfahrungen mit der PhysX Karte auch noch lange zwingend nötig oder zumindest empfehlenswert sein, will man Spiele mit flüssiger Bildwiederholrate geniessen können. Somit ist zumindest der Preis kein Kriterium, welches für nVidia spricht.

Schon fast sinnlos zu erwähnen, dass neben AGEIA und nVidia auch ATI Physikbeschleunigung auf dem Merkzettel an der Kühlschranktüre stehen hat. Die Einstellung von ATI scheint aber erst mal auf abwarten zu lauten, was vielleicht gar nicht die schlechteste ist. Denn auch Microsoft gibt sich als Trendsetter und will in den kommenden DirectX Versionen eine Physik Schnittstelle integrieren. Dies würde den Konkurrenzkampf von AGEIAs PhysX und nVidias Havok FX zu einem Sturm im Wasserglas verkommen lassen, denn wahrscheinlich wird Microsoft weder noch unterstützen aber so oder so ganz bestimmt den eigenen Standard durchzusetzen wissen. Selbstverständlich könnten Spieleentwickler auch dann noch für PhysX Karten programmieren, wenn diese nicht von Microsofts kommender API unterstützt wird, aber wenn sie die grösstmögliche Käuferschaft wollen, werden sie auf die Microsoft-Schnittstelle setzen müssen.
Zu bedenken ist, dass die ersten Erweiterungskarten für Spiele, mit denen die PhysX-Karten oft verglichen werden, die Voodoo-Karten von 3dfx, auch nicht von DirectX unterstützt wurden sonder eine eigene (Glide) Schnittstelle hatten und trotzdem über Jahre hinweg mit DirectX koexistieren konnten. Dies lag aber zweifelsfrei daran, dass Spiele, welche auf Voodoo Karten optimiert waren, besser aussahen UND schneller liefen, was bei der PhysX-Karte leider nicht der Fall ist.

Trotzdem darf man gespannt wie schon lange nicht mehr in die Zukunft blicken. Physik in Spielen wird eindeutig Realität werden. Die Frage bleibt noch, woher die Rechenkraft dafür kommt. nVidia will mit ihrer SLI-Lösung AGEIA Marktanteile wegschnappen. Vom Standpunkt der reinen Performance und maximalem Realitätsgrad ohne Rücksicht auf Verluste wäre allerdings ein PhysX-Karte von AGEIA und ein SLI-System von nVidia das beste, zumindest bis es soweit ist, dass es CPUs mit zehn oder mehr Cores gibt welche dann genügend Leistung haben um eine 3D-Grafikkarte und Physik-Karte überflüssig werden zu lassen.
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