Kolumne: ATI X1800

Seit gut einer Woche ist das Geheimnis um den sagenumwobenen R520 gelüftet und bereits ist in der Onlinemedienlandschaft eine gewisse Leere an die Stelle getreten, wo man sonst jetzt eigentlich massenhaft Benchmarks erwarten würde.
Das hat vor allem zwei Gründe: erstens war der R520 von Anfang an ein Nachzügler, mit dem nun das Kapitel High-End-Grafikchips 2005 vorläufig abgeschlossen werden konnte und damit die seit dem Launch des G70 aufrechterhaltene Spannung endlich ihr Ende fand. Redakteure wie auch PC-Games-Enthusiasten können nun nachts wieder ruhig schlafen, bloss den einen oder anderen zuckt es seither und womöglich noch die nächsten drei Wochen in der rechten Hand auf Höhe der Brieftasche, sobald er an einem PC-Laden vorbeigeht oder im Internet einen Hardwareshop ansurft. Dagegen gibt es momentan für die Masse der Betroffenen kein richtiges Heilmittel, sondern nur pharmazeutische Symptombekämpfungsmittel zur Beruhigung; denn das grosse Problem ist (und damit wären wir beim zweiten Punkt): Es gibt noch keine entsprechenden Spitzenkarten zu kaufen!
Club3D hat uns heute beispielsweise mitgeteilt, dass die Auslieferung der X1800XL begonnen habe. Für den begehrten X1800XT hingegen muss man sich wohl noch ein paar Wochen gedulden, unabhängig davon, ob man gewöhnlicher Konsument oder Redakteur von Testberichten ist (mit Ausnahme ausgewählter Seiten, die zum Launch hin für kurze Zeit Samples erhalten haben).

Der augemerklichste Unterschied der X1800 gegenüber der 7800 ist (neben dem 512MB grossen Speicher der noch nicht erhältlichen XT-Karte) nicht etwa die Performance oder die Features, sondern die Beschränkung auf 16 Pixelpipes und die 90nm Fertigung. Das hat es in der Tat schon lange nicht mehr gegeben, das zwei direkte Konkurrenzprodukte von den Eckdaten des Kerns her so unterschiedlich sind und trotzdem in etwa die gleiche Leistung erbringen.
Dabei ist aus Sicht der Marketingexperten von ATI natürlich völlig klar, dass ihr Chip deutlich fortschrittlicher und besser ist als der von nVIDIA. Durch diese zwei Umstände, weniger Pipes und kleinere Fertigung, konnte der Chip wesentlich verkleinert werden.
Aha. Nun was heisst jetzt das? Normalerweise bedeutet eine kleinere Fertigungsstufe, dass der Chip weniger Verlustleistung umwandelt und sich schneller und günstiger in höheren Stückzahlen herstellen lässt. Ersteres ist wegen dem notwendigerweise höheren Takt leider nicht der Fall, im Gegenteil, günstiger ist die Karte auch nicht und früher erhältlich ebenfalls nicht. Und wenn wir mal ehrlich sind, welcher Verbraucher schert sich darum, ob ein Transistor 20 Nanometer kleiner ist, wenn die Karte dafür einen doppelt so grossen Kühler benötigt?

Wir wollen jetzt hier den neusten Wurf von ATI keinesfalls schlecht machen, er ist vielleicht nicht so überragend gut, wie es einige sich womöglich erhofft hatten, aber deswegen noch lange nicht schlecht.
Ob es nun an der mangelnden Verfügbarkeit verbunden mit der ins Rote abgedrifteten Finanzlage ATI?s zusammenhängt sei mal dahingestellt, jedenfalls ist zu beobachten, dass die Marketingabteilung von ATI derzeit überaus kreative und teilweise widersprüchliche Maximen zu Tage fördert. Nebst der schon genannten (kleiner ist besser, sparsamer, günstiger etc.) wäre da auch der offensichtliche Angriff auf Physikprozessorhersteller AGEIA zu nennen, demzufolge alle DX9-Karten von ATI über kleine Anpassungen (Treiber oder Spiele?) ebenfalls die gleichen Berechnungen wie eine PPU Ausführen können, und somit Besitzer einer ATI-Karte überhaupt keinen PhysiX-Karte benötigen würden.
Die Frage, wie leistungsfähig denn eine herkömmliche GPU mit bestenfalls rund 300Mio Transistoren gegenüber einer optimierten PPU mit 125Mio Transistoren denn sein kann, wenn sie nebenher immer noch die ganze Grafik berechnen muss, bleibe mal dahingestellt.
Aber auch für dieses Problem hat ATI kürzlich die passende Lösung aus dem Hut gezaubert: Mittels neuer Treiber sollen die Grafikkarten in wenigen Monaten in der Lage sein, einen Teil der Arbeit auf den zweiten Kern einer Dualcore-CPU auszulagern.
Alles Gründe, die so doch ganz klar für die Alleskönner-Grafikkarten von ATI sprechen. Nun ist es aber schon länger bekannt, dass die Spielehersteller mit oder ohne AGEIA den Physikanteil in Spielen erhöhen werden. Dazu werden künftig, wo keine PPU vorhanden ist, auch Dualcore-CPUs genutzt. Ob es da wirklich einen Vorteil bringt, die Physikberechnung über sieben Umwege auf die GPU, und die Grafikberechnungen auf die CPU auszulagern, wird wohl auf immer ein Geheimnis von ATIs Werbetrommlern bleiben, sofern diese überhaupt soweit gedacht haben.
[et]
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